Früh

Ich bin heute früh aufgestanden. Das mag zunächst nichts außergewöhnliches sein, aber es war sehr früh. Eine Zeit, zu der anständige Leute, hm, ja wohl aufstehen. Ich stelle fest, dass man so früh morgens mehr Zeit einplanen muss, weil man soviel Zeit verliert. Mit Herzrasen beruhigen, orientieren, wo und vorallem wer man ist, mit Trübevorsichhinstarren, Kaffeebohnen vom Boden aufsammeln, mehrmaliges ins Zimmer zurück laufen, um sich daran zu erinnern, dass man das Ladekabel einstecken wollte, dazwischen wieder Trübesvorsichhinkucken, an Hugh Jackman denken, der einem jetzt heldenhaft Kaffee bringen könnte, gegen die geschlossene Tür rennen. Endlich steh ich draußen, kalte Luft empfängt mich liebevoll. Erneut eine Überraschung: der Tag hat da schon ganz viel Licht vorbereitet. In Anbetracht all der Menschen, welche sich mit mir die einsame Straße teilen: eine Verschwendung. Ich komme mir sehr wichtig vor, als ich mit halbgeschlossenen Augen zum Bahnhof radle. Frühes Aufstehen macht einen schlagartig wichtig. Man ist ein Mensch mit einer Aufgabe, einem Ziel, Verantwortung, Hoffnung. Man kann sich alles schön reden. Am Fahrkartenautomat angekommen, stelle ich mich der nächsten Herausforderung: ich erstehe eine Fahrkarte. Oder auch nicht. Zunächst haben der Automat und ich Schwierigkeiten, uns auf das Ziel zu einigen und auch wenn seine Vorschläge nicht unvernünftig klingen, beharre ich auf meinem persönlichen Ziel. Dass ich mich noch nicht festnageln lassen möchte, wann ich genau zurückfahren möchte, ist für den Automaten inakzeptabel und auch nach mehreren Überredungsversuchen nicht durchzusetzen. Endlich erlaubt mir mein neuer Freund zu bezahlen. Ich stecke freudig meine Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz. Und darf eine weitere Erkenntnis des frühen Morgens erfahren: man weiß seinen PIN nicht, er ist in den schlaftrunkenen Gehirnwindungen nicht zu finden. Zahlen springen wie Schäflein über einen Zaun. Fassungslos ziehe ich den einzigen Geldschein, den ich in meinem Geldbeutel finde, nachdem wir die Ziel und Rückfahrt Diskussion noch einmal durchexerziert haben: nur Scheine bis 20.- bitte. Zitternd erkundige ich mich in der mittlerweile hinter mir angesammelten Schlange, ob jemand meinen 50.-€ Schein wechseln kann. Unwache Augen blicken mich verständnislos an. Nur ein überraschend aufgedrehtes Kind springt um seine Mutter herum. Hat wohl sein totalen noch nicht bekommen. Vollkommen ermattet, sinkt mein Kopf an den Automaten, ich umarme ihn, während ich leise in mich hineinweine. Sanft löst man meine Umklammerung und -ich schwöre- Hugh Jackman trägt mich auf seinem Pferd in Richtung Sonnenaufgang.